Geschichten, Glossen, Satiren, Humor, Unsinn, Erleuchtung - ich lache auch für Kalauer

Dienstag, 27. September 2011

Das FBI wohnt gegenüber

Daheim bin ich König und kann des Kaisers neue Kleider tragen so oft ich will. Aber das kann auch gefährlich sein. Wir werden überwacht. Das FBI wohnt gegenüber und hat direkten Blick in unsere Küche und in unser Schlafzimmer. Das FBI ist ca. 67 Jahre alt und gibt sich auf der Straße den Anschein hausbackener Biederkeit.
Doch auf der Straße ist das FBI selten zu sehen. Meistens steht es am Fenster, schaut hinaus – und in fremde Fenster hinein.
Nicht wirklich unauffällig, aber bereits ab sechs Uhr morgens.
Das FBI lüftet die Bettdecken, das FBI putzt die Fensterbank, schaut zufällig in unsere Küche, schüttelt den Staublappen aus, putzt die Fensterscheibe, schaut beiläufig die Straße rauf und runter, putzt nochmal die Fensterbank, schaut in unser Schlafzimmer, schüttelt nochmal das Staubtuch aus und verbringt so mehr oder weniger seinen Tag.

Wir sehen auch andere Nachbarn, die uns gegenüber wohnen. Nicht, dass wir neugierig wären, aber man kann die Augen nicht immer schließen. Wir beobachten unsere Nachbarn nicht; es ist uns völlig gleich, was sie tun, solange niemand Schaden nimmt. Im Grunde haben wir harmlose Nachbarn, wie die alte Dame mit dem überdimensionalen Fernseher, auf dem ständig ein Musikantenstadl läuft. Kein Problem, so lange sie das Fenster geschlossen lässt.
Unter ihr wohnt ein Ehepaar hinter vergilbten Gardinen. Manchmal schiebt sich ein Kopf mit grauen Haaren durch die Vorhänge, schaut kurz hinaus und verschwindet wieder. Die Vorhänge hätten Wäsche nötig. Die Haare auch, aber ich will mich nicht in Angelegenheiten anderer einmischen.
Den Mann sehe ich manchmal auf der Straße. Er hat einen Pferdekopf, geht vornüber gebeugt und schimpft vor sich hin. Einmal habe ich ihn mit seiner Frau gesehen. Da hat er mit ihr geschimpft. Manchmal hört man ihn dreckig durchs offene Fenster lachen oder über jemanden im Fernsehen schimpfen. Er hat das Fenster immer gekippt und im Sommer schaut er bis tief in die Nacht laut Fernsehen. Einmal habe ich mir vorgestellt, ich bringe ihn um. Statt dessen habe ich mein Schlafzimmerfenster geschlossen.
Im Haus neben dem FBI wohnt die rauchende Russin. Die rauchende Russin ist eine Türkin mit blondierten Haaren, die aussieht wie eine Russin. Sie raucht immer und von dieser Regel gibt es keine Ausnahme. Sie trägt enganliegende weiße Shirts, die sich über diverse Fettpölsterchen spannen und telefoniert beinahe so viel wie sie raucht. Manchmal sitzt sie mit Freundinnen auf dem Balkon oder hängt Wäsche auf. Aber immer steckt eine Zigarette zwischen ihren Fingern.

Wir nehmen das wahr und wir wissen, dass auch wir gesehen werden. Doch beobachtet werden wir durch das FBI.
Gestern morgen zum Beispiel. Ich saß beim Frühstück, als ich das FBI bemerkte. Es glotzte herüber und schaute nicht einmal weg, als ich ihm direkt in die Augen sah. Es hatte keinerlei Angst aufzufliegen, entlarvt zu werden.
Glaubt nicht, was Ihr in Filmen seht: Das FBI trägt keine schwarzen Anzüge, es ist nicht am gnadenlosen Blick und der brutalen Fratze zu erkennen. Das FBI trägt ondulierte Haare und spricht hessisch.
Als ich später einkaufen ging, kam mir das FBI entgegen. Die biedere Hausfrau von gegenüber. Jetzt, sagte ich mir, jetzt stelle ich sie zur Rede. Jetzt oder nie. Sie kam näher. Wackliger Gang, eine kleine weiße Altdamen-Handtasche quer über die Brust gehängt, in der linken Hand einen Einkaufssack. Sie war so nah, dass ich in ihre Augen schauen konnte. Ihre freie Hand griff in ihre Manteltasche. Seit 1934 ist – wie jeder weiß – dem FBI das Tragen von Schusswaffen erlaubt. Sie blinzelte kurz. Ich sah mich instinktiv nach Deckung um und trat einen Schritt beiseite, zwischen zwei parkende Autos. Sie holte aus ihrer Tasche eine schwarze Sonnenbrille, setzte sie auf und ging an mir vorrüber, als ob nichts gewesen wäre.
Ich atmete auf und beschloss, einen neuen Vorhang zu kaufen. Gegen das FBI ist man machtlos.

Donnerstag, 15. September 2011

Mein Rendezvous mit einem Neandertalerfräulein und andere Forschungsberichte

Parallelen schneiden sich im Unendlichen; Parallelwelten in der Innenstadt. So hatte der Verein Deutsche Sprache in der Innenstadt ein Transparent ausgestellt:
„Auf deutsch reden, auf Denglish pfeifen".
Gegenüber, in der Schlange am Nordsee-Straßenverkauf, sah ich einen jungen Mann auf dessem T-Shirt stand: „drink all day - party all night", ein Spruch, der auch durch Übersetzung ins Deutsche nichts von seiner Einfalt verlieren würde.
„Wer nichts zu sagen hat, sagt es auf Englisch“, so Walter Krämer vom Verein Deutsche Sprache und man kann ergänzen: Wer nichts versteht, sagt es auf Englisch.
Prächtig verstanden haben sich verschiedene Menschenarten vor der Babylonischen Sprachverwirrung. So wurde jetzt anhand von Gentests bewiesen, was selbst die trickreichsten Paparazzi der Lifestyle-, People- und Neandertal-Magazine bisher nur behaupten konnten: Der Homo sapiens hatte vor 35000 Jahren in Afrika was mit einem archaischen Urmenschen.
In Eurasien hat er sich mit dem Neandertaler und dem Denisova-Menschen gepaart - und diesen Kreuzungen verdanken wir einen Teil unserer Immunkräfte.
So weit so gut, aber wir stehen noch vor einem anderen Problem: Wo ist diese verdammte dunkle Materie? Achtzig Prozent der Materie im Weltall soll unsichtbar sein und noch immer suchen Forscher danach. Inzwischen wollen drei Forschergruppen diese sogenannte dunkle Materie gefunden haben. Das jedoch ist unter Physikern umstritten und so halte ich mich an die dunkle Schokolade, die ich in meinem Kühlschrank nachgewiesen habe. Schokolade macht glücklich und damit sind wir bei einem Problem, dass wieder mit Sprachverwirrung zu tun hat:
Was bezeichnen wir als Glück?
In der Frankfurter Rundschau las ich kürzlich „Mit etwas Glück können FR-Leser Jedward vor ihrem Konzert in Frankfurt persönlich treffen“.
Jedward, das sind John und Edward Grimes, zwei singende Frisuren, die, wenn sie nicht singen, reden und dabei rumzappeln, was sie allerdings auch beim Singen machen. Das nennen sie dann Performance. Wir nennen es Spätpubertäres Hyperaktivitätssyndrom. Wem das Glück droht, die beiden persönlich zu treffen, dem kann man nur Pech wünschen.

Im Lexikon wird Glück als „günstige Fügung“ bezeichnet.
Sollte mich die Fügung heute Nacht auf ein Neandertalweibchen treffen lassen, frage ich sie vielleicht: „Hallo hübsches Fräulein, Party all night?“
Und dann wird sich ja zeigen, ob man mit coolen Sprüchen zur unbekannten Materie vordringen kann.

Dienstag, 6. September 2011

So denke ich, dass sie denkt...

Geschichten des täglichen Lebens

Natürlich ist es schwer, mit Frauen zu kommunizieren. Man weiß nie, was sie wirklich denken.

Bei der Dame meines Herzens und mir fängt es zum Beispiel am Frühstückstisch an.

Gestern morgen, nachdem ich zu Ende gegessen hatte, entfuhr mir ein unbedarftes:
„So“.
Sie sah mich an.
„Und was?“
„Nichts. Was denn?“
„Nach ‚so’ muss immer eine Aktion folgen“, erklärte sie.
Mir war das neu.
„Du sagst oft ‚so’", warf ich ein. „Von dir habe ich das übernommen.“
„Ja, und wenn ich es sage, dann mach ich auch was. Zum Beispiel den Tisch abräumen.“

So werden Regeln aufgestellt.

Heute morgen trank sie ihren Kaffee aus, stellte die Tasse mit einem Knall auf den Tisch und sagte:
„So!“
Da wusste ich, jetzt würde sie das Frühstücksgeschirr abräumen. Doch es geschah nichts, seelenruhig las sie weiter in der Zeitung.
„Nach ‚so’ muss immer eine Handlung folgen“, sagte ich.
„Machst du ja auch nicht“, erwiderte sie beinahe schnippisch.

Inkonsequenzen bin ich selbstverständlich gewohnt, aber ich hätte gerne endlich den Frankfurt-Teil der Zeitung gelesen, der ja wahnsinnig spannend sein musste, so wie sie sich darüber beugte.

„Nach ‚so’ muss man die Zeitung tauschen. Neue Regel“, versuchte ich es, aber sie ging nicht darauf ein.

Also stand Ich auf und räumte den Tisch ab. Als ich fertig war, hatte sie die Zeitung ausgelesen.
"So, dann kann ich ja."
Ich schenkte mir einen zweiten Kaffee ein, und stellte fest, dass überhaupt nichts Interessantes im Frankfurt-Teil stand. Ich blätterte noch einmal - aber nichts.
Kurz überlegte ich, zu fragen, welchen Artikel sie auswendig gelernt hat - aber vielleicht ist das Leben schöner, wenn man manchem Rätsel sein Geheimnis lässt.

Für die Dame meines Herzens hat sich das alles ganz anders abgespielt.
Als sie gestern in ihre Gedanken versunken am Frühstückstisch saß und überlegte, ob sie den Tisch abräumen sollte oder doch noch ein Toast? Und sie muss vor neun Uhr noch eine Kollegin anrufen und wenn die nicht da ist, was soll sie ihr auf den Anrufbeantworter sprechen, oder doch lieber eine Mail schreiben? Und (ich muss dies so ausführlich wieder geben, weil die Dame meines Herzens so umständlich denkt) zwei drei Berichte in der Zeitung sind auch noch zu lesen, aber wann liest die Kollegin die Mail und überhaupt, warum kaut der Kerl neben ihr eigentlich so selbstzufrieden sein Nutellatoast, wenn die Welt gerade im Chaos versinkt - und in diesem Augenblick spülte ich den letzten Bissen mit einem Schluck Kaffee hinunter und sagte:
„So“.
„Was so?“
„Nichts, was denn?“
Diese Antwort half ihr überhaupt nicht weiter bei ihren dreizehneinhalb Problemen und wenn ich schon so großspurig ‚so’ sagte (als ob ich mich in diesem Augenblick anschickte, Rom neu zu erbauen), könnte ich zumindest den Tisch abräumen!

Heute morgen war das längst vergessen. Rom wurde gestern nicht gebaut, aber der Käse in den Kühlschrank gestellt. Und irgendjemand hatte ihn sogar pünktlich zum Frühstück wieder heraus geholt. Der Kaffee war heiß und stark.
„So!“
Sie stellte die Tasse auf den Tisch. Jetzt erst mal in Ruhe die Zeitung lesen.
„Nach ‚so’ muss man die Zeitung tauschen“, sagte ich.

Aber doch nicht bei diesem ‚so’! Denkt sie sich, während sie weiter auf diesen unwichtigen Zeitungsartikel starrt. Jede Frau weiß, dass es unterschiedliche ‚sos’ gibt. Manche verlangen Aktion, manche sagt man einfach nur so, ohne Grund, weil man irgendwas sagen muss. Frauen müssen oft irgendwas sagen. Ohne Grund.
Dass gerade ihr Freund das nicht versteht! Typisch Mann. Nur immer schwarz-weiß, als ob das Leben so-oder-so wäre und nicht auch mal ganz anders.

Das denkt sie selbstverständlich nicht wirklich. Ich weiß nicht, was sie denkt. Wenn ich es wüsste, hätte ich niemals so naiv einfach nur "so" gesagt.

Freitag, 2. September 2011

Bürgerliche Verschrecktheit und ein Geschenk für den Weltfrieden

Ich glaube, es hackt. In Hamburg ist das Trinken alkoholischer Getränke im öffentlichen Nahverkehr verboten. Wieso, weshalb, warum?
In Frankfurt wird über ein Verbot noch diskutiert.

„Alkohol trinkende Personen verbreiten jedoch ein Gefühl der Unsicherheit, das andere Fahrgäste verschreckt“, meint Frankfurts CDU Fraktionsvorsitzender Helmut Heuser. Der arme, verschreckte Mann, vielleicht sollte man ihm helfen.

Passiver wie auch aktiver Umgang mit Alkohol sind erlernbar.

Erstens: Ängste ablegen. Ein wenig Alkohol tut weniger weh als eine Spritze beim Doktor.
Zweitens: Vorurteile abbauen. Alkohol lässt nicht zwangsläufig jeden Menschen zum Rowdy, Tunichtgut und Randalierer werden. Manche werden Propheten, Dichter oder schlafen einfach ein (nicht zu verwechseln mit sogenannten „Schläfern“: Die machens auch ohne Alkohol).
Drittens: Positive Aspekte annehmen. Alkohol ist das Kulturgut unserer westlichen Zivilisation. Er fördert Festlichkeit, Gemeinsamkeit und Lockerheit. Er erweckt spirituelle Erfahrungen jenseits von Katholizismus oder Räucherstäbchen – und (als Bonus für die CDU) ist zugleich vollständig integriert in christlicher Religion.
Viertens: Die Kirche im Dorf lassen.
Fünftens: Wie soll man ein Spiel der Eintracht ertragen ohne davor und danach in der Bahn ein Bier zu trinken?
Sechstens: Alleine oder mit mehreren im Auto trinken ist ja auch nicht besser.
Siebtens: Haben Sie mal überlegt, wieviele Menschen aggressiv werden, wenn sie KEIN Alkohol mehr in der S-Bahn trinken dürfen?
Achtens: Wer, bitte sehr, fühlt sich warum verschreckt durch Alkohol trinkende Personen? Aggressive Personen im öffentlichen Nahverkehr sind aggressiv ganz unabhängig davon, ob sie in diesem Augenblick gerade eine offene Flasche in der Hand halten oder nicht.

Fazit: Alkohol trinkende Menschen im öffentlichen Personennahverkehr sollten nicht mehr verschrecken als zum Beispiel Kinder, die in Hofeingängen Flohmarktstände aufgebaut haben.
So ein Kind sprang mich kürzlich an, als ich die Waldschmidtstraße entlang ging. „Wollen Sie was kaufen?“ Quakte von links eine Stimme und zwei Mädchen grinsten hinter einem Tisch voller selbst gebasteltem Allerlei.
Sehr beeindruckt hat mich eine Panflöte aus Strohhalmen, aber gekauft habe ich schließlich ein Türschild mit der Aufschrift: „Komm doch BITTE herein“ – oben eine aufgemalte Sonne, unten ein lächelndes Gesicht. Und seitdem höre ich die Dame meines Herzens kichern, bevor sie ins Zimmer tritt.
Gerne hätte ich die beiden Mädchen gefragt, ob sie auch Luftgitarren verkaufen, denn so eine wollte ich schon immer mal verschenken. Letzten Freitag wurde eine deutsche Studentin Weltmeisterin an der Luftgitarre. Das Motto dieser Weltmeisterschaft im finnischen Oulu lautete „spiel Gitarre für den Weltfrieden“, so könnte ich mit meinem Geschenk Gutes tun und, falls es nicht gefällt, wäre es einfach und umweltschonend zu entsorgen. Das Üben an der Luftgitarre macht zudem keinen Lärm und darüber werden sich am meisten die Kohlmeisen freuen.

Wer das wunderbare Buch „Die sexuellen Phantasien der Kohlmeisen“ von Jörg Metes und Tex Rubinowitz kennt, weiß, von was Kohlmeisen träumen – um so trauriger, dass es immer öfters beim Träumen bleibt. Um im zunehmenden Lärm der Städte von ihren Weibchen gehört zu werden, müssen männliche Kohlmeisen in höheren Tonlagen singen. Das hohe Gezwitscher klingt überhaupt nicht sexy und immer mehr Weibchen brennen mit einem Zugvogel oder einer Blaumeise durch.

Was bleibt den männlichen Kohlmeisen dann noch außer Alkohol?

Vielleicht ein Ausflug mit der S-Bahn in den Taunus. Bis es einem auffällt: Singende Meisen verbreiten ein Gefühl der Unsicherheit, das andere Fahrgäste verschreckt - und man kann mit Kanonen nicht nur auf Spatzen schießen.
Dann ist auch damit Schluss.